Vertatscha (2181 m)

Allgemeines

Die Vertatscha, zweithöchster Berg der Karawanken, im altvorderen deutschsprachigen Alpinschrifttum auch als „Deutscher Berg“ oder „Zinnenwand“ bezeichnet und in slowenischen Führerwerken ebenfalls durch Namensvielfalt gekennzeichnet, fällt in ehrfurchtgebietenden Wandflüchen zur berühmten Märchenwiese ab. Wiese und die bis zu 600 Meter hohen Vertatscha-Wände bilden einen der phantastischsten Talschlüsse der Kalkalpen. An den Pfeilern und Türmen, in den Rissen und Schluchten der Vertatscha-Nordwand haben die bedeutenden österreichischen Alpinisten Eduard Pichl und Kurt Maix alpinhistorische Spuren hinterlassen, Viktor und Walter Pretterebner, Willi Wruhs, Ernst Kahlofer und Rudolf Begusch Mitte der dreißiger Jahre die wichtigsten Routen eröffnet.

Nach Eduard Pichl (1872-1955) ist eine in den Karnischen Alpen, am Wolayasee, befindliche Schutzhütte benannt. Der geborene Wiener zählt zur Phalax der Bergsteiger, die die klassische Entwicklung des Alpinismus mit Riesenschritten vorangetrieben haben. Er war in den verschiedensten Gebirgsgruppen zu Hause, die Erinnerung an ihn hält etwa der durch die Dachstein-Südwand führende Pichl-Weg wach. Nicht verschwiegen darf werden, dass der blendende Kletterer und Autor zu den Heerscharen derer Zählte, die das Eindringen des Antisemitismus in den Alpenverein nicht nur zuließen, sondern auch tatkräftigst vorantrieben. In unscharfer Distanz zu den seinerzeitigen antisemitischen, faschistischen und in letzter Konsequenz schrecklichen Vereinserscheinungen heißt es in den anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums des Alpenvereines herausgekommenen „Mitteilungen“ (3/87): Noch vor dem Losbrechen der Faschismuslawine, die in den Folgewirkungen Europa unter sich begräbt, erfährt der Alpenverein eine Zerreißprobe im Eindringen des Antisemitismus gerade in österreichischen Sektionen. Diese moralische und politische Heraufforderung hat er, wie leider viele andere Institutionen, schlecht gemeistert. Auch dieses Kapitel Vereinsgeschichte muss aus der Situation jener verdorbenen Jahre gesehen und in die Lerngeschichte des Vereines eingebunden werden.“

Unter Pichls Führung wurde in der bedeutenden AV-Sektion Austria Anfang der zwanziger Jahre der Arier-Paragraph eingeführt, was zu einem Protest in Form von Massenaustritten führte. Zur Schar der Ausgetreten zählte der berühmte, von der Sattheit bürgerlicher Kultur abgehobene Herold des Alleinganges Eugen Guido Lammer (1863-1945), dessen – von empathischem, gefühlsgewaltigem, überschäumend-heroischem Stil getragenes – Schrifttum („Jungborn“) zu den bemerkenswertesten Dokumenten der Alpinliteratur zählt. „Vom Becher des Todes nippen zu dürfen“ bedeutete dem promovierten Mittelschullehrer „größte Wonne“.

Am Ende seiner Bergsteigerlaufbahn konnte Dipl.-Ing. Eduard Pichl, der Hitlers Machtergreifung mit den Worten „...sind wir nach langem Aufstieg am Ziel der volklichen Einigung. Mit heißem Dank an den Führer stehen wir einsatzbereit zu weiterem Wirken mit eisernem Willen nach Bergsteigerart“ begrüßt hatte, auf 50 Erstbegehungen zurückblicken. Einige davon vollbracht er mit zerschossenem Handgelenk. 33 Monate in Sibirien verbrachte Kriegsgefangeschaftt und die Tätigkeit Pichls als Kursleiter der Militär-Bergführerabteilung (Gröden) sollen nicht unerwähnt bleiben. Dass der verblendete Fanatiker und Biograph des „Judenfressers“ und Vorbilds Adolf Hitlers, Georg Ritter von Schönerer, den alpinen Wehrverein „Edelweiß“ und die „Deutsche Wehr“ gründete, die für eine Reihe nationalsozialistischer Bluttaten verantwortlich waren, ist ebenfalls Tatsache. In ihrem Lichte kommt dem Namen der am Wolayasee befindlichen Hütte unselige Bedeutung zu.

Kurt Maix (1907 – 1968) war nicht nur ein bedeutender Alpinist, sondern auch hervorragender Alpinliterat („Im Banne der Dachstein-Südwand“).

Viktor Pretterebner zählt zu den bedeutenden Kärntner Kletterpersönlichkeiten. Am Seil häufig mit Willi Wruhs verbunden, sorgte er insbesondere in den Karawanken für Erschließungsgeschichte. Hans M. Tuschar, einer der besten Kenner des Grenzgebirges, schreibt: „Das Leistungsvermögen dieser für die Karawanken wohl bahnbrechenden Seilschaft hätte für die größten Aufgaben in den Alpen gereicht“. Im September 1992 schrieb Ing. Viktor Pretterebner dem Autor des vorliegenden Buches einen berührenden Brief, in dem er seine erste große Klettertour beschrieb; sie führte ihn, gemeinsam mit Willi Wruhs sen, durch die Nordwand des Hainschturmes. Nicht genug zu rühmende Verdienste hat sich Pretterebner auch als Funktionär der „Naturfreunde“ und des „Touristenklubs“ sowie bei Bau und Versichern von Karawankenwegen erworben.